Die Flüchtlingskrise als Triumph neoliberaler Politik

 

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Als die spanischen Juden 1492 fliehen mussten, lud Bayezid II, der damalige Sultan des Osmanischen Reiches, alle Juden in sein Reich ein. Dies war nicht ausschliesslich eine humane Geste, sondern hatte auch handfeste wirtschaftliche Gründe, da die Muslimischen Ottomanen – am Handel weitgehend uninteressiert – diesen gerne den Mitgliedern religiöser Minderheiten überliessen.1

Die letztjährige Einwanderung in Deutschland weist auch tiefgreifende wirtschaftliche Aspekte auf. Die exportorientierte, deutsche Wirtschaft braucht dringend Arbeitskräfte. Das Magazin Der Spiegel zitierte im März 2015 eine Studie der Bertelsmann Stiftung, die besagte, dass Deutschland 533’000 Immigranten pro Jahre brauche, um den Mangel auszugleichen. Dieselbe Studie verlangte, dass Massnahmen ergriffen werden, „damit Deutschland als Einwanderungsland auch für Drittstaatler attraktiver wird.“2

Dies steht in krassem Gegensatz zur Kritik des US-Finanzministeriums im Oktober 2013, das die export-lastige Wirtschaft Deutschlands scharf kritisierte:3

Das langsame Tempo beim Wachstum der heimischen Nachfrage in Deutschland und die Abhängigkeit vom Export hat eine Rückkehr zum Gleichgewicht verhindert zu einer Zeit, da viele Länder der Eurozone unter starkem Druck standen, die Nachfrage zu drosseln und die Importe zu kürzen4

Auch andere teilen diese Kritik, gehen aber noch weiter. Der Wirtschaftswissenschaftler Prof. Heiner Flassbeck in einem Interview: „Wir haben in Deutschland generell viel zu niedrige Löhne. Ein Mindestlohn würde auf den gesamten Tarifbereich positiv ausstrahlen. Dadurch könnten sich die Löhne dem Niveau nähern, auf dem sie eigentlich sein müssten, um die europäische Währungsunion nicht weiter zu gefährden (Hervorhebung hinzugefügt).“5

Wenn wir die neoliberale Ausrichtung der derzeitigen deutschen Regierung berücksichtigen – eine Ausrichtung, die sehr deutlich während der Bankenrettung und der Griechenland-Krise zu Tage trat – so scheint mir die letztjährige wir-schaffen-das“-Maxime nur Mittel zum Zweck gewesen zu sein. Mit links-liberal anmutenden ‘multikulti’Ausdrücken wurde der Linken die Möglichkeit zur Kritik genommen. Denn wer kann schon ein wir-schaffen-das kritisieren angesichts des humanitären Elends, dessen Überwindung genau nach dieser Haltung verlangt: Wir (Gemeinschaft) schaffen (Einsatz) das (den Flüchtlingen helfen).

Dass es sich hier nur um ein Lippenbekenntnis handelte, zeigte die zögerliche Bereitschaft zu echter Hilfeleistung: Anstatt den Notstand auszurufen, wurde die Arbeit zur Bewältigung der Flüchtlingskrise den Ländern überlassen. In Berlin mussten Flüchtlinge wochenlang anstehen, bis sie registriert wurden, die nötige Sofort-Hilfe wurde grossenteils von Freiwilligen geleistet. Von übergeordneter Koordination habe ich nichts gesehen. Androhungen wie Schwimmbäder schliessen6 oder Bemerkungen, dass Flüchtlinge erstaunlicherweise das Geld haben, um Hunderte von Kilometern durch Deutschland zu fahren,7 entsprechen nicht der obigen Maxime.

Die Flüchtlingskrise als Ganzes wird zu einem Triumph neoliberaler Politik. Die Wirtschaft wurde mit billigen und geschulten Arbeitskräften versorgt und die Bevölkerung ist weiter nach rechts gerückt. Die deutsche Wirtschaft rief nach Arbeitskräften, die Flüchtlinge sind willkommenes „Wirtschaftsfutter“. Die hohen Immigrationszahlen führen zu einen Rechtsrutsch, der die SPD weit schlimmer trifft als die CDU – trotz (angeblicher) Willkommenskultur. Rot-Grün in Stuttgart ist wohl an der Flüchtlingskrise gescheitert.

Der Gewinn der Alternaive für Deutschland“ (AfD)die grosse Profiteurin der Krise – stellt in keiner Weise eine Gefahr für die neoliberale Agenda dar. Denn die AfD vertritt durch und durch neoliberale Positionen.8 Dass sie den Euro abschaffen möchte, ist nebensächlich. Gewisse Positionen werden nie umgesetzt werden und dienen nur der Propaganda; doch andere Positionen sind mehrheitsfähig und so könnte die AfD zur Königsmacherin“ weiteren Sozialabbaus werden. Und sollte „die Alternative“ in Zukunft nicht mehr als Alternative wahrgenommen werden, so werden die „Verirrten“ wohl reumütig wieder zu CDU und FDP pilgern …

Auch die CDU hat wenig zu fürchten. Mit dem EU-Türkei-Deal wurde das Asylrecht de facto abgeschafft und „Königin Angela“ hat das getan, was die konservativen WählerInnen von ihr erwarten: Die Grenzen dicht. Somit ist sie für rechts wieder wählbar.

Was bleibt ist die salonfähig gewordene Islamophobie und Xenophobie, eine in der zentralen Europafrage Asyl weitgehend ungeeinte EU und eine lachende, neoliberale Wirtschaft, die nicht nur viele neue Arbeitskräfte geschenkt bekommen hat, sondern auch eine Gesellschaft, die über Zuwanderung und Islam streitet anstatt die Wurzel des Übels unserer Zeit – die neoliberale Agenda – zu bekämpfen.

 

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3„Germany’s anemic pace of domestic demand growth and dependence on exports have hampered rebalancing at a time when many other euro-area countries have been under severe pressure to curb demand and compress imports in order to promote adjustment. The net result has been a deflationary bias for the euro area, as well as for the world economy.“, p. 4, Report to Congress on International Economic and Exchange Rate Policies, October 30, 2013, https://www.treasury.gov/resource-center/international/exchange-rate-policies/Documents/2013-10-30_FULL%20FX%20REPORT_FINAL.pdf

 

 

 

 

 

 

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