Wortwahl und unterschwellige Suggestionen

Wortwahl und unterschwellige Suggestionen in zwei Artikeln des Tagesanzeiger (TA), (1) «Kämpfen bis zum letzten Blutstropfen» – News International: Naher Osten & Afrika und (2) «In Mosul drohen Konflikte unter den Befreiern», beide Artikel von Vincenzo Capodici

Berichtet der TA neutral und objektiv? Oder suggerieren uns die Artikel unterschwellig, was wir denken sollen?

Nach der Einnahme der Altstadt von Ost-Aleppo durch die syrische Armee haben Rebellen eine sofortige fünftägige Waffenruhe gefordert. Damit solle ermöglicht werden, dass 500 schwer verletzte Zivilisten aus dem umkämpften Stadtteil in Sicherheit gebracht und medizinisch versorgt werden könnten, erklärte Abdel-Salam Abdel-Rasek von der Rebellenmiliz Nur al-Din al-Sinki. Zudem solle Zivilisten die Möglichkeit gegeben werden, Ost-Aleppo zu verlassen, wenn sie dies wollen. Im Weiteren wünscht der Rebellensprecher Verhandlungen über die «Zukunft der Stadt».

Im obigen Absatz, dem ersten von Artikel 1, habe ich Schlüsselwörter hervorgehoben, um die Assoziationen zu verdeutlichen, die die verwendeten Wörter auslösen. Die Stichworte sind Rebellen, Waffenruhe, in Sicherheit, medizinisch versorgt, wünschen ,Verhandlungen, Zukunft.

Damaskus und Moskau bisher gegen jede Waffenruhe“

folgt als Absatztitel des nächsten Absatzes. Die Stichworte im Absatz sind: Russland, Veto, Waffenruhe verhindert, Diktator Assad, keine Kompromisse.

Die Rebellen mutieren gegen Ende des Artikels sogar zur syrischen Opposition, d.h. zu jener friedlichen Gruppe, die vor dem Bürgerkrieg gewaltfrei demonstriert hat (wie friedlich diese wirklich war, ist auch fraglich). Und diese werde eine mitdiktierte Friedenslösung (von Russland und dem Iran) nicht akzeptieren.

Artikel 1 verwendet die Wörter[1] Aufständische zweimal, Opposition viermal und Rebellen gar zwölf mal. Das Wort Terror kommt im ganzen Artikel gar nicht vor.

Im Kampf um Mosul (Artikel 2) kämpft ein Anti-IS-Bündnis gegen ein Terrorkalifat und gegen Fanatiker des IS und tritt als „Befreier“ auf. Sogar der illegale 2003 Irak Krieg wird zur Befreiung von Mossul[2] verklärt. Die dominierenden Wörter sind Schreckensherrschaft, Terrorkalifat, IS-Hochburg, Terroranschläge, Minderheiten und Befreiung/Befreier.

Die in Artikel 1 verwendenden Wörter bezüglich der Rebellen sind alle positiv: wünschen, Waffenruhe, Sicherheit, medizinische Versorgung, etc. Wir verstehen daher unterschwellig, dass diese Rebellen „die Guten“ sind.

Verschwiegen wird geflissentlich, dass jene Rebellen gemäss BBC aus 1’000 bewaffneten Oppositionsgruppen bestehen, zu denen unter anderen der IS, Al Nusra, und andere fundamentalistische Terrorgruppen gehören. In einem längeren Artikel Wer sind die gemäßigten Rebellen in Syrien? schreibt Dr. Jacques Neriah,

[…] dass im Laufe des Bürgerkrieges die führende Rolle der FSA im Kampf gegen Assads Alawiten-Regime zusehends ausgehöhlt und durch Dschihadistengruppen ersetzt wurde. Die verschiedenen islamistischen Koalitionen vor Ort können tatsächlich kaum noch als "gemäßigte Opposition" bezeichnet werden.“

Der Satz „Die Opposition werde sich nicht dem Assad-Regime ergeben und eine von Russland und dem Iran mitdiktierte Friedenslösung akzeptieren …“ könnte demnach auch so geschrieben werden: Islamistische Terrorgruppen lehnen eine Friedenslösung von Iran und Russland ab und schwören, den Terror fortzusetzen.

Artikel 2, der eigentlich die Minderheiten im Irak zum Thema hat, weist eine sehr polare Ausdrucksweise auf. Er bezeichnet jene Gruppierungen, die den IS bekämpfen, durchgehend als Befreier und die IS als Terrorkalifat, etc. (siehe oben). Obwohl auch Assad/Russland den IS bekämpfen, fehlt eine derartige Bezeichnung in Artikel 1 vollkommen. Die Frage hier ist nicht, ob der Ausdruck Terrorkalifat für den IS angemessen ist, sondern warum der eine Artikel (dort, wo die USA Krieg führen) jene polaren Ausdrücke verwendet und im anderen Artikel (dort, wo Russland/Assad/Iran Krieg führen, auch gegen den IS) eine ganz andere Ausdrücke verwendet.

Neben der eindeutig tendenziösen Wortwahl weist der TA nie darauf hin, dass die Aktivitäten der USA rechtswidrig sind, während Russlands Unterstützung für Assads völkerrechtlich legal ist. Noch erwähnt der TA, dass die USA einen illegalen ʻregime-changeʼ anstreben, der nichts mit dem Schutz der Bevölkerung zu tun hat. I.a.W. die USA haben mit dem Irakkrieg 2003 eine Katastrophe heraufbeschworen, die die ganze Region destabilisiert und zur Bildung der IS geführt hat. Zudem unterstützen sie illegal terroristische Gruppierungen mit dem (illegalen) Ziel, eine fremde Regierung zu stürzen und haben dabei einen Bürgerkrieg massiv verschlimmert – wenn nicht gar erst ermöglicht.

Ob die USA diesen ʻregime-changeʼ wegen der Gas-Pipeline anstreben, die von Qatar nach Europa gehen soll, damit sie Russlands Wirtschaft untergraben können oder ob es sich lediglich um generelle, geostrategische Machtinteressen in der Region handelt[3] (oder beides), ist zweitrangig. Das Anheizen des Konflikts mit Waffen, Training, Logistik, etc. mit dem Ziel, eine Regierung eines anderen Landes zu stürzen, ist fraglos völkerrechtlich illegal.

Was der TA uns suggeriert, ist jedoch das genaue Gegenteil.

1Als Wort meine ich hier Wort oder Wortverbindung, i.e. Rebellen oder Rebellenführer, etc.

2„Bei der letzten Befreiung von Mosul war Warda selber an der Front gewesen. Er hatte im amerikanischen Krieg gegen Saddam Hussein (2003) mitgekämpft.“ Artikel 2, 3. Absatz. Der 2003 Krieg gegen den Irak war ein illegaler Angriffskrieg. Siehe https://annotationphi.wordpress.com/2016/11/21/war-of-aggression/

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