Sancta simplicitas

Michele Binswangers Kommentar mit dem fragwürdigen Titel «Intellektuelle Intoleranz von links» zu den Protesten gegen das Auftreten von Rechtspopulisten an öffentlichen, von Universitäten organisierten Veranstaltungen ist etwas blauäugig. Binswanger verlangt, dass an Orten wie Theater oder Universitäten „eine Auseinandersetzung stattfinden können muss“, und meint, Mündigkeit verlange, „dass man verletzt, gestört, [oder] aufgewühlt wird“. Untermauern möchte sie dies mit einem Plädoyer für Resilienz, der „Fähigkeit, Krisen zu bewältigen“, was „die wichtigste Ressource eines Individuums, aber auch einer Wertegemeinschaft oder einer Nation“ ist.

Dabei vergisst oder unterschlägt sie, dass eine öffentliche Debatte mit Populisten eigentlich eine contradictio in eo ipso darstellt, oder – etwas weniger intellektuell ausgedrückt – dass mit Populisten eine sachliche Auseinandersetzung eben nicht möglich ist. Denn der Populist hat sich von einer sachlichen Erörterung von Problemen verabschiedet. Er debattiert nur zum Schein und beschränkt sich im Wesentlichen darauf, scheinbare Lösungsansätze in kurzen, prägnanten Schlagworten öffentlichkeitswirksam aufzutragen. Im „perfekten Schwiegersohn“-Look nutzt er jeden öffentlichen Auftritt ausschliesslich dazu, um seine Einzeiler zu platzieren und einen guten Eindruck zu hinterlassen. Gegenargumente werden weder analysiert noch debattiert – wie es eine politische Auseinandersetzung verlangen würde – sondern in irgendeiner Art und Weise so kolportiert, dass es die Grundprämissen des populistischen Gedankengebäudes untermauert. Die Gegenargumente sind per se entweder Beweis für die Richtigkeit der eigenen Position oder eine Bestätigung der Opferrolle des Populisten. In einer öffentlichen Diskussion mit einem Populisten treten daher Fakten oder sachliche Erörterung von Meinungen fast vollständig in den Hintergrund. Der Anlass degradiert zur inszenierten Selbstdarstellung des Populisten, an welchem es nur darum geht, die eigenen Slogans zu platzieren und den Gegner in irgendeiner Art schlecht zu machen. Nur noch die Form – die Ästhetik des Auftretens – ist entscheidend. Dass dennoch eine Auseinandersetzung möglich sein soll, steht im Widerspruch dazu, dass der Populist ja gerade verhindern muss, dass Sachfragen erörtert und Meinungen hinterfragt werden. Denn seinen Erfolg verdankt er dem Triumph des Eindrucks über die Fakten: seinem eigenen Auftreten und einem (nebulöser) ‘Volkswillen’, einem Bauchgefühl, i.e. einem subjektiven Gefühl, das einer Analyse nicht standhielte.[1]

Als Beispiel wie Populisten sachliche Auseinandersetzungen pervertieren können dienen die Duelle von Alexander van der Bellen mit seinem populistischen, im NLP geübten Gegner Norbert Hofer.[2]

Weiter schreibt Binswanger:

Die Frage ist, was sie [die Gegner] eigentlich befürchten. Dass unschuldige Studenten plötzlich zu den Rechtspopulisten desertieren könnten?

Das Erscheinungsbild des Populisten ist für alle verfänglich, auch für Studierende. Solche Anlässe werden ausserdem nicht nur von Studierenden besucht, sie sind für alle zugänglich und finden sich nachher auch im Internet, wo sie jene erreichen, die weit mehr auf das Auftreten der Teilnehmenden achten als auf faktenbasierte Argumente. Abgesehen davon können die Populisten sich nachher damit brüsten, an universitären Veranstaltungen teilgenommen zu haben. Die nicht-universitären Massen – das Hauptklientel der Populisten – wird dabei die Form der Veranstaltung nicht beurteilen können.[3]

Wenn Binswanger meint, dass „nur wer seine moralische Sicht auf die Dinge transparent machen kann – und die des Gegners –, […] eine Chance [hat], die Menschen zu erreichen“, dann übersieht sie, dass genau dies das Problem in einer Diskussion mit Populisten ist. Indem der Populist zur Trickkiste greift und die Autorität seines Gegners untergräbt, verhindert er, dass sein Gegner ihn entlarven kann. Die Kritik – die moralische Sicht auf die Dinge – ist dann der Lächerlichkeit des als Trottel erscheinenden Gegners zum Opfer gefallen.

Eine sachliche Auseinandersetzung mit und Widerlegung von Ansichten, Meinungen und Forderungen von rechter und rechtsextremer Seite ist in einer demokratischen Gesellschaft unabdingbar. Doch das Gefäss dafür darf nicht – unter keinen Umständen! – zu einer Plattform für Populisten werden, die an einer sachlichen Debatte kein Interesse haben, sondern lediglich ihre propagandistischen Ziele verfolgen.

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1 Die Angst vor Terror kann hier als Beispiel dienen. Die Wahrscheinlichkeit durch Terror umzukommen, ist verschwindend gering. Andere Gefahren sind deutlich höher. Dennoch kann die rein subjektive Angst vor Terror als Argument verwendet werden.

3 Der Populist wird seinen Auftritt derart kolportieren, dass ihm ein universitärer Anschein verleiht wird.

 

Update: Der Auftritt von Jongen in New York zeigt, dass “es einzig der extremen Rechten selbst nützt, wenn man sie auf liberale Bühnen einlädt.”

https://www.woz.ch/1745/auf-allen-kanaelen/jede-minute-ein-erfolg

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