Was Erich Gysling wohl antreibt?

Kommentar zu Erich Gysling, Was Wladimir Putin antreibt, Infosperber

Im teilweise kritischen Artikel von Erich Gysling sind leider viele fragliche Formulierungen und Unterlassungen vorhanden, die als Ganzes den Westen, insbesondere die USA, in einem zu guten Licht erscheinen lassen.

So fällt sieben Mal der Ausdruck Krim-Annektion. Dabei handelt es sich beim Anschluss der Krim an Russland nicht um eine Annektion.[1] Gysling verwendet den Begriff, obwohl er zur Krim differenzierter berichtet als andere. Dass die USA und Europa der Sezession des Kosovo 2008 sofort zustimmten (im Kosovo liegt die zweitgrösste US-Militärbase), erwähnt er nicht, ein wichtiges Detail. Denn „[…] am 17. Februar 2008, erklärte die provisorische Zivilverwaltung im Kosovo dessen Unabhängigkeit vom serbischen Zentralstaat. Das verstieß, wiewohl der Internationale Gerichtshof das zwei Jahre später verneint hat, gegen einschlägiges spezielles Völkerrecht, nämlich die Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrats vom Juni 1999, die den Kosovo nach der Nato-Intervention unter die Hoheitsgewalt der Vereinten Nationen gestellt und zugleich die Unverletzlichkeit der serbischen Grenzen garantiert hat.“[1] Somit hat der Westen Sanktionen gegen Russland verhängt, für etwas, das er selber 6 Jahre zuvor getan hat mit dem gewichtigen Unterschied jedoch, dass die Krim früher zu Russland gehörte und über 60% der Bevölkerung Russen sind, während der Kosovo 7’000 km von den US-Aussengrenzen entfernt ist.[2]

Wer von einer Annektion spricht, „[…] verwirrt nicht nur die völkerrechtlichen Grundbegriffe, sondern mobilisiert deren Legitimationspotential auf eine gefährliche Weise.“ Denn „Annexionen zwischen Staaten sind […] typischerweise Kriegsgründe.“ [1]

Auch die strategische Bedeutung von Sevastopol für Russland lässt Gysling ausser Acht. Dass es sich hierbei um den einzigen, ganzjährig eisfreien Hafen handelt, wird verschwiegen. Wenn „Sewastopol von der Nato verschluckt worden wäre“, wäre dies daher nicht nur „für Wladimir Putin inakzeptabel“, sondern es würde die Russische Verteilungsfähigkeit grundsätzlich in Frage stellen. Mit dem Ego des Präsidenten hat dies nichts zu tun.

Die NATO-Osterweiterung hingegen ist eine Tatsache. Gysling berichtet zwar darüber, unterlässt aber ein wichtiges Detail. Die NATO unter Führung der USA planen die Stationierung eines Raketenabwehr-Systems, das gemäss Experten eindeutig eine Angriffswaffe darstellt. Dieses Abwehrsystem ermöglicht einen Erstschlag ohne einen Zweitschlag fürchten zu müssen.[3] Dies ist eine riesige Bedrohung für Russland, deutlich gefährlicher als die Kubakrise für die USA damals (denn die Zweitschlagfähigkeit war durch Kuba nie beeinträchtigt). Doch den Ausdruck Raketenabwehr-System suchen wir vergeblich. Jedoch endet der Absatz mit der Frage „Weshalb wurden sie [keine NATO-Osterweiterung] nirgendwo schriftlich fixiert?“ , eine Frage, die das NATO-Osterweiterungs- Problem irgendwie in Luft auflöst.

In der Geschichte wurde Russland von Europa dreimal angegriffen (die USA inoffiziell mit dabei), mit zwischen 20 und 40 Millionen Toten im zweiten Weltkrieg allein. Die NATO ist ein Angriffsbündnis (Libyen, Irak, etc.), gefährdet den einzigen eisfreien Hafen Russlands, erweitert sich Richtung Russischer Grenze und baut ein System für den Erstschlag auf. Da könnte der Absatz mit etwas mehr Bewusstsein für die reale Bedrohung enden. Denn andere Ansichten werden von Gysling sehr deutlich kommentiert. Das ist schlicht Unsinn“ ist seine Meinung zu den Vorwürfen, der Majdan-Aufstand sei von der USA organisiert worden, wobei er die 5 Milliarden, die gemäss Victoria Nuland in der Ukraine für „democracy promotion“ aufgewendet wurden, geflissentlich unterschlägt.

Bezüglich Syrien ist es Putins Ziel […], Bashar al Assad an der Macht zu halten.“ Dies ist die Umkehr-Formulierung dessen, was die USA anstreben, nämlich Assad mit allen Mitteln zu stürzen. Der Unterschied ist subtil und in der heutigen Weltordnung eine Nebensächlichkeit: Das erste ist völkerrechtlich legal, das letztere illegal. Dazu – die völkerrechtlich legale Unterstützung Russlands gegenüber der völkerrechtlich illegalen Bewaffnung von ‘Rebellen’ (Terroristen) durch die USA – fällt im Artikel kein Wort.

Da uns Putin selber darauf aufmerksam macht, dass sich die westlichen „Partner, allen voran die Vereinigten Staaten von Amerika“ nicht „vom Völkerrecht leiten lassen, sondern von ihrer militärischen Macht“, muss uns Gysling immer wieder über Putins Charakter aufklären:

Also griff Putin, machtorientiert, zu anderen Mitteln … Wladimir Putin liebt martialische Gesten und harte Worte … Putin ist sprunghaft … dem schwierigen Herrn im Kreml …

Präsident Obama wird nur einmal erwähnt – ohne Attribute.

Wer den Artikel immer noch nicht verstanden hat, schaue sich die Graphik an. Der fette Bär, wesentlich dicker als Uncle Sam, sitzt schon auf Europa …

Der sich als ‘ausgewogen’ präsentierende Artikel ist leider doch etwas einseitig.

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2 Bezüglich einer Verteidigungsfähigkeit ist die Militärbase im Kosovo für die USA überflüssig. Die strategische Wichtigkeit der Krim für Russland sollte jedoch einleuchten.

3 „[…] ostensibly defensive systems can be used in offensive warfare—in this case, to enable the West to launch a pre-emptive first strike without fear of a retaliatory response.“, http://www.larouchepub.com/other/2013/4011nuke_first_strike.html

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